Seit 2012 pilgern Deutschrapfans jedes Jahr nach Wiesbaden..
Denn dort trifft sich die deutsche Rap-Szene am Kulturzentrum Schlachthof zur Tapefabrik,
dem grössten Hip Hop Indoor Festival Deutschlands. Künstler wie Mädness Döll, Prezident, Pöbel MC, Betty Ford Boys, Veedel Kaztro, Architekt, Disarstar, Retrogott, Motion Man, u.v.m.
Wir wurden eingeladen, weil wir die größte und beste Deutschrapgruppe auf Facebook administrieren, und diese der Tapefabrik als offiziellen Promo-Channel zur Verfügung stellen.
Dafür sollen wir bloß ein paar Interviews machen.
Die Piraten willigen ein. Im Boot: Daily Raps Kapitän Phil, Navigatorin Moune, Bassi (ich bin das), der verschlafene Chefkoch Lazy Lu und Moni Zoro (sie beherrscht den Nagelfeilenschwertstil).
Das Benzboot ist voll gepackt mit Schlafsack, Airmax, Jacke, Fallschirm, Yoga-Matte, Polaroidkamera, Räucherstäbchen, Mikrofon, Spaß, kein Spaß.
Keine Eile. Wir trotzen den Stauseen, plündern ein Einkaufszentrum und lassen uns von Ölfrachtern überholen.
Lu schläft die meiste Zeit, also waren wir nach bloß 4 Stunden Fahrt in Mainz, wo wir in einer WG der Gruppe „DAS ist deutscher Rap“ das Wochenende unterkommen durften.
Fun-Fakt: DAS ist deutscher Rap!
Die von Daily Rap gegründete Community gilt als grösste Facebook-Gruppe für Deutschrap-kundige Hip Hop Fans. Die Admins sind die Admirale einer Gemeinschaft, in der wackness ein Verbannungsgrund ist.
Die Tapefabrik fragt auf seinen Flyern „Was ist Rap?!“ Diese Gruppe weiß es.
Der Hauptgastgeber Phono ist einer der Admirale. Er macht uns die Tür auf. Über 250 Quadratmeter Wohnfläche, 5 Bewohner. Eine Piratenhöhle im ersten Stock. Es gab sogar Palmen und einen Billardtisch.
Man heißt uns herzlich Willkommen. Die WG war gleichzeitig so etwas wie der Treffpunkt Mainz Tag und Nacht: „Alle sagen das.“
Wir werden zu einer großen Tafelrunde geführt, wo wir auch andere Bewohner, Gäste, Admiräle aus Wien, weitere Pressepässe, und Besitzer zweier goldener Tickets begrüßen.
Zum Abendessen gibt es karibische Spezialitäten und guden Rum.
Unsere Schlafplätze sind gemütliche Hängesofas. Ay.
Am nächsten Morgen, punkt 16:20 Uhr, hissen wir zusammen die Segel:
Tapefabrik 2018
Vor uns ragt der 36 Meter hohe Wasserturm des Schlachters in die Höhe. Das von Bauzäunen umgebene Areal des heutigen Wiesbadener Kulturzentrums, ist ein ehemaliger städtischer Schlachtbetrieb. Mittlerweile ist es ein Treffpunkt alternativer Szenen geworden und genießt auch einen internationalen Ruf in der Graffiti-Szene.
Gleich davor staunen wir über die Mutter der Warteschlangen. „Wow“.
Am VIP-Eingang schüttelt ein Security den Kopf und schickt uns wieder weg.
Lazy Lu bekommt Zweifel das wir reinkommen. Aber er will auch nicht mehr zum Ende der Warteschlange laufen.
Die ist nämlich wirklich weit weg und Lazy Lu ist wirklich lazy.
Phil geht nochmal zurück zum Eingang und zeigt einem älteren, graubärtigen Mann in Bomberjacke sein Banner. Das weiße Mikrofon auf schwarzem Grund. Daily Rap.
Der Security nickt. Phil winkt uns zu sich. Wir dürfen rein. Uns fällt ein Stein vom Herzen.
3 Areas verbunden über einen öffentlichen Platz, überzogen mit Stufen und Sitzbänken. In der heiligen Mitte ein Kippenautomat, sowie der gefühlt einzige Essens-Stand (das vielleicht einzige Manko der Tapefabrik) – Aber so wurde der Burgerkiosk eben zur Antwort aller Fressflashs.
Als wir uns zurechtgefunden haben ist die Party bereits in vollem Gange. Big Chief von Don´t Let The Label Label You steht wie ein Marktschreier auf dem Platz vor dem Kesselhaus und kündigt das kommende Battle an. LUX vs. NOTYZZE. In der Mitte des bereits viel besuchten Floors stehen sich die beiden Kontrahenten gegenüber. In Sturmkrähen-Farben blickt NOTYZZE ernst auf seinen Münchner Gegner herab. LUX sieht rot. „EYOO“. Big Chief brüllt in die Kamera. Der Beat startet und LUX flowt darüber wie ein Berserker. NOTYZZE bringt das scheinbar kurz aus dem Konzept und er verschluckt sich. Die Crowd gibt ihm eine zweite Chance. Alles nur Taktik? Der Kölner enttäuscht sein Publikum nicht mehr. Wir kriegen 3 Runden Schlagabtausch mit Realness-Faktor geboten. Die Menge tobt.
Schöner Auftakt des Abends.. Weiter geht’s, wir mischen uns unter das Hip Hop Volk. Dort findet bereits ein reger Austausch statt. Freestyler. Stickertauscher. CDs wechseln schneller ihre Besitzer als ihr Wilczynski sagen könnt. Navigatorin Moune ist im Tauschfieber. Rapper Marz beißt sich schmunzelnd auf die Unterlippe, während er das Raucher-Areal wie ein Ninja (Hip Hop liebt den Fernosten) mit Flyern für seine kommende #anwesend-Tour zubombt.
Wir stehen vor dem Backstage-Eingang des Kesselhauses. Dort steht auch Cap Kendricks. Er veröffentlicht am 20.04. sein Album „Keepsakes„. Eine LP mit LUX wird kurz danach folgen. Beim Titel verstanden wir erstmal nur chinesisch. „Das heißt, ‚Der Grund Morgens aufzustehen.'“ Er grinst. (Hip Hop LIEBT den Fernosten)
Es ist neblig. Draußen muss die Wiese frisch gemäht worden sein.
Wir drücken uns an roten Augen vorbei zur Mainstage.
Hip Hopper feiern und jubeln zu Message, Double-Rhymes und Punchlines. Sie schaukeln zum Fluss von Flows und Beats. Nicken mit dem Kopf und heben die Hände in die Luft, wenn sie die Freshness spüren:
MC Retrogott hat zahlreiche Jünger vor die Bühne gezogen und das Publikum schwankt in spiritueller Ekstase. Dann wird Dexter angekündigt. Es wird wavy. Als er seinen letzten Überraschungsgast LGoony auf die Bühne holt, verliert meine Stehnachbarin, eine Wiener Admirälin, komplett die Fassung und kreischt hemmungslos los. Wir schauen die sonst so gefasste Admirälin entgeistert an. Sie räuspert sich und entschuldigt sich im Wiener Dialekt für den Gefühlsausbruch: „Hoffentlich kommt auch Fatoni.“ Der Wunsch wurde ihr nicht mehr erfüllt. Kurz nachdem der Song „Das ist alles Kunst“ angestimmt wurde, bedauerte Dexter bereits Fatonis Abwesenheit:
„ER IST NICHT DA!“
Vielleicht ist er noch in Japan?
(HIP HOP LIEBT DIE FERNOSTKÜSTE!1!!11)
Es wird tiefgründig. Das Bier beginnt zu wirken.
Auf der Toilette treffen wir Kex Kuhl. Er trägt einen knallgelben Hoodie und will schnell raus aus dem Klo weil jemand „krass am abseilen ist, Alta“.
…
Jetzt riechen wir es auch.
Wir machen einen anderen Treffpunkt aus.
Das Kesselhaus-Backstage. Aber wie kommen wir rein?
Kex Kuhl grinst. „Digga, kein Problem.“
Kex Kuhl ist bereits Profi im ins Backstage sneaken. Er gibt uns hilfreiche Tipps:
„Digga, du musst einfach so tun als ob das völlig normal wäre..“. OK…
Völlig normal drängen wir uns durch Menschenmassen
zum Hintereingang des Kesselhauses und reißen die Tür auf.
Die Security nickt uns völlig normal zu.
Orientierungslos hasten wir die Treippen runter und stehen plötzlich im Meetingraum des Organisationsteams.
Alle Blicke sind auf uns gerichtet.
Völlig normal grüßen wir in die Runde und holen uns völlig normal eine Apfelschorle aus dem Kühlschrank.
Einige Minuten später haben wir es hinter die Bühne geschafft und schauen über die Crowd auf das nächste DLTLLY-Battle.
GALV vs. SCHOTE
Energiegeladen. Überraschendes Finale. Normalerweise sind die Battles ja Accapella. Heute waren sie mit Beat-Begleitung. Das neue Konzept gefiel auch Damion Davis: Das schlägt er ja seit Jahren vor. Macht auch mehr Bock. Ohne ist wack. Noch wacker als Moneyboy. Skills-Battle! Einfach Todes abflown; Das ist schon endsnice, Alta! Galv nickt, Chief nickt, Phil nickt, Einigkeit.
Apropos endsnice:
Wir mussten feststellen, dass das Objektiv unserer Kamera für Bühnenfotografie unbrauchbar ist. Für SLOWY, AZUDEMSK & DENNIS REAL wollten wir es aber trotzdem wissen. Die Security nickt. Wir besetzen die Plätze vor der ersten Reihe im Bühnengraben. Für uns der gefühlte Höhepunkt des Abends.
Aaaaaaaah.
LAKMANN ONE hat seine Jungs dabei und das Publikum hebt die Arme in die Luft als würden sie eben ein Wunder bezeugen. Erleuchtet begegnen wir danach Morlock Dilemma. Wie ein großer weißer Hai bahnt er sich in College-Jacke seinen Weg vom Burger-Stand zum Hauptgebäude. Geduldig bleibt er stehen um sich Fragen zu stellen und für Fotos zu posen. Ein Admiral berichtet später, Morlock hatte, durch den Andrang an seiner Person kurzzeitig dafür gesorgt, dass niemand mehr die Klos betreten oder verlassen konnte.
Die Admiräle sind sich einig. Ein sehr gelungener Abend.
Man wünscht sich ein ‚til infinity….
Tapefabrik 2019?
Zum Ende sitzen wir auf Palettenbänken im VIP-Outdoor-Backstage-Raucher-Bereich. (Wir erfuhren auch nur spontan von seiner Existenz. Ziemlich sicher hieß der Bereich auch anders.) Zumindest sehen wir fast alle Künstler nochmal. Morlock Dilemma ist inzwischen auch angekommen. Max, der Organisator der Tapefabrik läuft immer noch mit Knopf im Ohr durch die Gegend und verteilt kopfnickend Anweisungen. Dass es zu wenig Essen gibt weiß er. Ja. Er hat alles versucht. Schade. Ja. (Wir erfahren eben dass es Pizza in der Beatstage gegeben hätte.)
Lakmann steht etwas zurückgelassen am Ausgang und will sich verabschieden. Gerade noch umjubelt; Jetzt wird er von der übrigen sich unterhaltenden Kopfmasse fast schon ignoriert. Empathisch joggt Bassi zu Laki und umarmt ihn. Laki schenkt uns ein letztes kehliges Aah und verschwindet in der Nacht. Der vielleicht emotionalste Moment des Abends.
Wir sind dann von der Security verabschiedet worden.
Lazy Lu und Moni planen mit LUX bereits das Frühstück. „Aber bitte kein Sushi“.
(Hip Hop hat heute Morgen Kater vom Sake und braucht was Deftiges.)
Andere wollen noch Bier an einer Tankstelle kaufen. „Die Gegend unsicher machen!“
Wir treffen uns in einem vollgesprühtem Hinterhof wieder.
Ein Skateboard schnalzt über den Boden, von irgendwo hallt Technomusik.
Langsam geht die Sonne auf. Wir gönnen uns einen großen letzten Schluck Portwein.
Wir vermissen die Tapefabrik jetzt schon.
….
Haben wir überhaupt ein Interview geführt?
Phil grinst: „Digga, kein Problem.“
*Alle Dialoge frei erfunden. **Spass. ***Kein Spass.
Weitere Links:
http://www.dailyrap.de/
http://www.tapefabrik.de/
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